Wenn am 09. Juni (parallel zu den Kommunalwahlen) das Europaparlament gewählt wird, sind wir als Gewerkschafter*innen gefordert: wir wollen wählen gehen und ein Zeichen gegen den Rechtsruck und für ein friedliches und solidarisches Europa setzen. Um eine informierte Entscheidung zu erleichtern, hat sich der DGB die Wahlprogramme der aussichtsreichsten Parteien angeschaut. Der Blick richtete sich hierbei auf die für uns Gewerkschaften besonders relevanten Themenfelder der Transformation der Industrie, der Absicherung von Produktionsstandorten, der Stärkung der Regionen, der Förderung guter Arbeit, der Mitbestimmung und der Arbeitsmobilität. Im Folgenden haben wir das Ergebnis der Analyse – aufgeschlüsselt nach Partei – für euch näher angeschaut.
Investieren in die Transformation
SPD: Die Sozialdemokrat*innen befürworten Investitionen in eine solidarische und ökologische Transformation der Wirtschaft. Die geforderten Schritte hierzu? Unter anderem sollen die europäischen Investitions- und Strukturfonds ab 2028 um ein Instrument zur Förderung der Transformation erweitert, Genehmigungsverfahren beschleunigt und eine Tariftreueklause in die Konzessions- und Vergaberichtlinien (öffentliche Gelder nur an Unternehmen mit Tarifvertrag) aufgenommen werden.
CDU: Die Union will die Klimaneutralität der EU bis 2050 durch Emissionshandel, Ausbau der erneuerbaren Energien und mehr Kreislaufwirtschaft meistern. Das Vergaberecht soll vereinfacht werden, das Verbandsklagerecht soll zur Beschleunigung von Verfahren weichen.
Grüne: Die Grünen wollen – ähnlich wie SPD und Linke – aktive Industriepolitik ermöglichen. Die hierfür nötigen Mittel sollen unter anderen durch die Lockerung der Schuldenregeln sowie eine stärkere Besteuerung von Unternehmensgewinnen und einer Finanztransaktionssteuer geschaffen werden. Soziale und Nachhaltigkeitskriterien sollen in den Fokus des Vergaberechts rücken. Investitionen in Schienen-, Strom- und Wasserstoffnetz sollen von der EU und nicht von den einzelnen Mitgliedsstaaten getätigt werden.
FDP: Für die FDP steht der Abbau von Bürokratie, die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien und Infrastruktur sowie das Einhalten der Schuldenregeln im Vordergrund.
Die Linke: Die Linke will die Transformation durch öffentliche Investitionen ankurbeln. Die Mittelvergabe soll an soziale und ökologische Kriterien – beispielsweise Tariftreue und Ausbildungsquoten – gekoppelt sein. Das Geld soll unter anderem durch ein Aufweichen der Schuldenregeln, eine höhere Besteuerung von Vermögen und Erbschaften sowie eine Mindestbesteuerung von übergewinnen in den Haushalt kommen.
Bündnis Sahra Wagenknecht: Das BSW setzt auf länderübergreifende Kooperation in der Transformation. Die EU dient hier mehr als Koordinierungsplattform und weniger als eigenständiger, investierende Akteur. Durch eine einheitliche Unternehmensbesteuerung soll Steuerdumping zwischen den Mitgliedstaaten vermieden werden.
Produktion absichern
SPD: Die SPD will in erster Linie die Energieversorgung absichern und hierfür unter anderem in europäische Stromnetze und Wasserstoffpipelines investieren. Klima- und Menschenrechtsziele sollen künftig Teil von Handelsabkommen sein und Ausbeutung durch das Lieferkettengesetz verhindert werden.
CDU: Die CDU fordert ebenfalls den Aufbau von Wasserstoffinfrastruktur. Gleichzeitig brauche es eine wehrtechnische Industriestrategie. So sollen Schlüsselindustrien in Europa gehalten werden. Das Lieferkettengesetz lehnt die Union ab.
Grüne: Auch die Grünen wollen die Energiesicherheit stärken – durch Investitionen in die Infrastruktur und der Verringerung der Abhängigkeit von einzelnen Erzeugerländern. Da soll sowohl durch mehr Lieferanten als auch durch eine höhere Eigenerzeugung gelingen. Die Grünen stehen dem Lieferkettengesetz positiv gegenüber.
FDP: Die Freien Demokraten wollen Handelsabkommen stärker entlang geostrategischer Interessen ausrichten und in der Energieversorgung unabhängiger von Drittstaaten werden. Hürden zum Ausbau von Energieinfrastrukturen sollen gesenkt und die Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen verschärft werden. Das Lieferkettengesetz lehnt die Partei ab.
Die Linke: Die Linke setzt in erster Linie auf Ökostrom und in zweiter Linie auf Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Die Energieversorgung soll zu einem großen Teil zurück in staatliche Hand, um bezahlbare und sozial gestaffelte Preise zu gewährleisten. Die UN-Nachhaltigkeitsziele sollen Grundlage künftiger wirtschaftlicher Kooperationsvereinbarungen sein. Das Lieferkettengesetz wird unterstützt.
Bündnis Sahra Wagenknecht: Das BSW will die Energieversorgung durch die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland und langfriste Lieferverträge mit dem russischen Staat sichern. Die Handelsbeziehungen zu den USA sollen nicht intensiviert werden, stattdessen wir die Bedeutung Chinas hervorgehoben.
In starke Regionen investieren
SPD: Struktur- und Investitionsfonds sollen auch für die Transformation genutzt werden, die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft sollen bei Entscheidungen über Investitionen stärker berücksichtigt werden und die Mittelvergabe an Tarifbindung, Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung gekoppelt sein.
CDU: Die Union will durch Mittel der Regionalpolitik insbesondere den ländlichen Raum und strukturschwache Gebiete stärken und dort unter anderen Transformationsprojekte fördern.
Grüne: Auch die Grünen wollen verstärkt strukturschwache Regionen fördern und bürokratische Hürden bei Förderprogrammen abbauen, um diese für KMUs zugänglicher zu machen.
FDP: Die FDP äußert sich in ihrem Programm nicht zu diesem Themenkomplex.
Die Linke: Die Linke will regionale Lieferketten und Wirtschaftskreisläufe stärken. Die Kontrolle und Gestaltung des regionalen wirtschaftlichen Umbaus sollen Wirtschafts- und Transformationsräten unter Beteiligung von Unternehmen, Gewerkschaften und Verbänden unterliegen. Den EU-Strukturfonds sollen mehr Mittel zur Verfügung stehen. Insbesondere Kommunen sollen hiervon profitieren – auch durch die Entkopplung der Höhe von der Mitfinanzierung.
Bündnis Sahra Wagenknecht: Das BSW lehnt Investitionen in wirtschaftliche starke Regionen durch die Struktur- und Regionalfonds ab. Die EU soll nicht mehr Mittel zu deren Finanzierung erhalten. Die nationale Eigenverantwortung für die Förderpraxis soll gestärkt werden.
Gute Arbeit in Europa fördern
SPD: Die SPD fordert unter anderem Tariftreueklauseln, Richtlinien zum Schutz vor Überlastung und eine Schließung des Gender Pay Gaps. Durch eine europäische Arbeitslosenrückversicherung sollen soziale Sicherungssysteme der Mitgliedsstaaten in wirtschaftlichen Krisen abgesichert werden.
CDU: Die Union will Tarifbindung erhöhen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken.
Grüne: Die Grünen fordern die Umsetzung der EU-Mindestlohnrichtlinie, das Ende von Scheinselbstständigkeiten, eine Schließung des Gender Pay Gaps und eine EU-Arbeitslosenrückversicherung.
FDP: Die FDP fordert eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine Flexibilisierung der EU-Arbeitszeitrichtlinie.
Die Linke: Die Linke fordert, soziale Grundrechte höher zu gewichten als Binnenmarktfreiheiten. Sie fordert unter anderem Tariftreuegesetze, eine Richtlinie zum Schutz vor Überlastung, ein europäisches Mindesteinkommen, das das Existenzminimum absichert und eine Handlungsverpflichtung der Mitgliedstaaten, wenn Löhne und Sozialausgaben unter einen Grenzwert fallen.
Bündnis Sahra Wagenknecht: Das BSW fordert ebenfalls den Vorrang sozialer Grundrechte, die Umsetzung der EU-Mindestlohnrichtlinie und eine Stärkung von Tarifbindung.
Mitentscheiden in internationalen Unternehmen
SPD: Die Sozialdemokraten wollen europaweit einheitliche Mitbestimmungsregeln. Ferner wollen sie europäische Betriebsräte stärken und deren Zugang zu Gerichten erleichtern. Der europäische soziale Dialog soll gestärkt und das Streikrecht verteidigt werden.
CDU: Die CDU äußert sich in ihrem Programm nicht zu diesem Themenkomplex.
Grüne: Die Grünen wollen europäische Betriebsräte stärken, Mitbestimmungsflucht durch Umwandlungen in europäische Aktiengesellschaften verhindern und eine Richtlinie zur Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung von Beschäftigten einbringen.
FDP: Die FDP äußert sich in ihrem Programm nicht zu diesem Themenkomplex.
Die Linke: Die Linke will die Mitbestimmung auf Investitions- und Produktionsentscheidungen ausweiten. Das deutsche Mitbestimmungsrecht soll auch für ausländische und europäische Unternehmensformen in Deutschland voll gelten und Mitbestimmungsflucht verhindert werden.
BSW: Das BSW äußert sich in ihrem Programm nicht zu diesem Themenkomplex.
Gute Arbeit über Grenzen hinweg
SPD: Die Sozialdemokraten fordern eine einheitliche, europäische Sozialversicherungsnummer, Mindeststandards zur Unterbringung mobiler Beschäftigter sowie eine verbesserte EU-Fachkräfteeinwanderung. Die legalen Zugangswege zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete sollen erleichtert werden.
CDU: Die Entsendung von Arbeitskräften soll unkomplizierter, ausländische Bildungsabschlüsse leichter anerkannt und Beratungs- und Förderangebote der Austauschprogramme für Auszubildende sollen finanziell besser ausgestattet werden. Die Fachkräftezuwanderung soll erleichtert werden.
Grüne: Auch die Grünen wollen einen einheitlichen Sozialversicherungsausweis, den Zugang von Auszubildenden zum Erasmus+-Programm erleichtern und die Beratung von mobilen Beschäftigten stärken. Mindeststandards für die Unterbringung sollen ebenso geschaffen werden.
FDP: Die FDP will die Anerkennung ausländische Abschlüsse erleichtern und den Zugang für Auszubildende zu Erasmus+ erleichtern. Die Meldepflicht gegenüber dem jeweiligen Land soll bei kurzen Entsendungen ebenso entfallen wie der verpflichtende Nachweis der Sozialversicherung.
Die Linke: Die Linke fordert vollen Sozialversicherungsschutz in allen Arbeitsverhältnissen, Mindeststandards für Unterkünfte und Vermittlungsagenturen, Ausbau von Arbeitsschutzkontrollen und die Stärkung der Beratung von mobilen Beschäftigten.
Bündnis Sahra Wagenknecht: Das BSW kritisiert das Abwerben ausländischer Fachkräfte, weil es deren Heimatländer schwäche. Stattdessen soll die hiesige Qualifizierung gestärkt sowie angemessene Entgelte gezahlt werden, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Für mobile Beschäftigte sollen gleiche Arbeitsbedingungen wie für heimische Beschäftigte gelten.
Die ausführliche Analyse des DGB findet ihr hier: Der_DGB-Wahlcheck_zur_Europawahl_2024_zum_Download.pdf